Teil 9: Lauter leuchtende Augen
Sechs lange Jahre hat Daniela B. versucht, schwanger zu werden. Im März 2022 war es endlich so weit – am 6. Dezember war die Kaiserschnittgeburt. Sie wurde zum Albtraum, denn die Anästhesie wirkte kaum! „Unter Schmerzen sollst Du Kinder gebären“, verkündete der Gott des alten Testaments Eva bei der Vertreibung aus dem Paradies. Für Frau B. wurde das besonders qualvolle Wirklichkeit.
Sie erzählt mir von der Geburt, als ich sie und ihren sechs Wochen alten Sohn Gabriel Mitte Januar zu Hause besuche:
„Die Spinalanästhesie hat bei mir nicht richtig gewirkt. Ich hatte starke Schmerzen und habe gespürt, wie mir der Bauch aufgeschnitten wurde. Die Chirurgin hatte kein Verständnis für mich. Sie fragte mich allen Ernstes: ,Sind sie sich sicher, daß es Schmerzen sind? Oder spüren sie nur den Druck?’
Auf meine Bitte an den Anästhesisten, mir stärkere Schmerzmittel zu geben, wurde mir geraten, ich solle die Hand meines Mannes drücken. Doch selbst dafür war ich zu schwach. Mein Mann fühlte sich dem Ganzen genauso hilflos ausgeliefert wie ich.
Dann kam die große Freude, und Glücksgefühle überfluteten uns, als Gabriel da war. Ich sah ihn, wie er hinter dem grünen OP-Tuch hochgehoben wurde, und war aufgewühlt von einer Mischung aus Freude, Ohnmacht, Schwäche und extremer Anspannung wegen der Schmerzen. Nach einer kurzen Erholungspause im Kreißsaal brachte eine nette Hebamme uns ein Frühstück.“
Der Schmerz der anderen
Den Schmerz einer Frau zu bezweifeln, deren Bauch man mit dem Skalpell gerade aufschneidet, ist – gelinde gesagt – ein starkes Stück. Die Frage dieser Prof. Dr. Ärztin einer großen Münchner Klinik, ob die Patientin tatsächlich Schmerzen habe, muß man sich langsam auf der Zunge zergehen lassen.
Können wir uns in bezug auf Schmerz irren? Nein, denn Schmerz ist die unmittelbarste Gewißheit, die wir über uns haben. Ein Tritt gegen das Schienbein von Frau Doktor mit anschließender Frage „Haben sie Schmerzen – oder spüren sie nur einen Druck?“ hätte ihr das wohl klar gemacht …
Charles Darwin berichtet, wie er in den 1820ern als Medizinstudent einen Hund lebend sezieren mußte, und wie dieser Hund ihm – während er ihn aufschnitt! – die Hand leckte und ihn flehend ansah. Das erschütterte Darwin so sehr, daß er sein Medizinstudium abbrach. So eine Barbarei wollte er nicht mitmachen. Darwin hat den Hund nicht gefragt, ob er wirklich Schmerzen habe. Ihm – als normal mitfühlenden Menschen – war klar, daß der Hund schreckliche Qualen litt. Da muß man nicht fragen.
Frau B.s Mann ergänzt den Bericht seiner Frau um einen überlegenswerten Aspekt:
„Ein Mann als Arzt wäre wohl nicht so rücksichtslos gewesen wie diese Ärztin.“
Ein Vater alten Schlages
Herr B. kann mir das sagen, da er auch zu Hause ist. Das geht, weil er einen verständnisvollen Arbeitgeber hat, der es ihm gestattet, viel im Heimbüro zu arbeiten.
Damit vermeidet Herr B. das Schicksal des modernen Mannes, seine Kinder nicht aufwachsen zu sehen. Der amerikanische Autor Robert Bly (1926-2021) hat in seinem Buch „Eisenhans“ das Drama der Väter der letzten 150 Jahre auf den Punkt gebracht:
„Die Liebesbeziehung, die durch die industrielle Revolution am tiefsten geschädigt wurde, ist die zwischen Vater und Sohn. Mit ihrem Bedarf an Büroangestellten und Fabrikarbeitern hat die industrielle Revolution die Väter von ihren Söhnen entfernt und die Söhne darüber hinaus per Gesetz in Schulen gezwungen, wo überwiegend Frauen unterrichten.
Wir erleben, wie mit jeder Generation die Bindung zwischen Vater und Sohn schwächer wird, mit katastrophalen Folgen. Der Vater arbeitet, doch der Sohn kann ihm bei der Arbeit nicht mehr zusehen. In allen früheren Gesellschaftsformen war es üblich, daß der Sohn den Vater zu allen Tageszeiten und in allen Jahreszeiten arbeiten sah.
Sobald die Büroarbeit dominiert, löst sich das Vater-Sohn-Band auf. Wenn der Vater nur abends ein oder zwei Stunden im Haus ist, dann sind die weiblichen Werte die einzigen im Haus. Man könnte fast sagen, daß der Vater heutzutage seinen Sohn fünf Minuten nach der Geburt verliert.“
Vaterliebe und gesunder Menschenverstand
Der Vater des kleinen Gabriel arbeitet nicht zu Hause, weil er sich mit Robert Blys Analysen befaßt hat. Er ist bei seinem Sohn, weil seine Vaterliebe ihn unmißverständlich fühlen läßt, daß es so das beste ist – für den Sohn, für ihn selbst und auch für die Mutter. Es klingt banal, doch gerät es in unserer Kinderhort-Abschiebe-Gesellschaft immer mehr in Vergessenheit: Ein Kind braucht Mutter und Vater. Ganz besonders in den ersten drei Jahren.
Einige Tage nach der Geburt schrieb Frau B. mir:
„Unser Sohn ist ein wunderschönes Baby, welches uns vom ersten Moment, als es im OP-Saal aus meinem Bauch herausgeholt wurde, in seinen Bann gezogen hat. Mein Mann war sofort verliebt in ihn und ist im Rausch der Gefühle.“
Diesen Rausch der Gefühle hat Herr B. sich bewahrt, denn auch jetzt noch leuchten seine Augen, wenn er seinen Sohn in den Armen hält oder ihn anlächelt. Der bemerkt das natürlich – und strahlt den Papa an. Da bleibt es nicht aus, daß auch die Mama leuchtende Augen bekommt, wenn sie ihre beiden Männer so harmonisch im Kontakt erlebt. Und auch meine Augen leuchten, weil ich das miterleben darf.
Die Qualen sind noch nicht zu Ende
Frau B.s Leidenszeit ging auch nach dem qualvollen Kaiserschnitt weiter. So erlebte die sie Tage und Wochen danach – was sie berichtet, ist nichts für zarte Gemüter:
„Ein Tag nach der Bauchgeburt: Blasenentleerungs-Störungen nach der Entfernung des Katheters. Extrem starke Schmerzen beim Wasserlassen, wenig Verständnis von einer Krankenschwester, als ich schreiend auf der Toilette den Notrufknopf drücke: ,Ach, det ist ja keen Notfall! Versuchen ses mal mit Kamillentee und lassen se den Wasserhahn nebenher laufen!’
Die ganze Nacht kommt kein Arzt, um mich zu untersuchen, trotz unerträglicher Schmerzen, da im Kreißsaal soviel los sei. Die Nachtschwester muß Gabriel eine Zeit lang übernehmen, weil ich keine Kraft habe, ihn zu stillen.
Verzweifelt suche ich unter Tränen am nächsten Morgen Hilfe bei einer Ärztin auf dem Krankenhausflur. Dann endlich kommt die Visite: Der junger Arzt wirkt arrogant und nicht sehr engagiert. Nach einem Ultraschall wird die Blase mit einem Einmalkatheter entleert. Ich habe eine kurze Erleichterung.
Danach wieder Blasenentleerungsprobleme. Erneutes Legen eines Dauerkatheters, wieder Schmerzen. Am nächsten Morgen Oberarzt-Visite – endlich ein kompetenter Arzt, der mein Leiden ernst nimmt.
Der Katheter muß zwei Tage bleiben. Das Labor stellt Keime im Urin und Entzündungswerte im Blut fest. Ich bekomme Antibiotika mit Infusionen. Nach erneutem Ziehen des Katheters habe ich weiterhin Blasenentleerungsstörungen.
Das dritte Anlegen des Katheters ist so schlimm, daß ich schreie vor Schmerzen. Die Krankenschwestern haben Schwierigkeiten, den Schlauch einzuführen, da die Harnröhre entzündet und geschwollen ist. Ich bitte um starke Schmerzmittel per Infusion, doch das ist wegen des Stillens nicht möglich.
Mein Zustand: tagelange Pflegebedürftigkeit; Probleme mit dem Stillen; Angst und Ohnmacht, mich nicht um mein Baby kümmern zu können. Dazu kommt der Schmerz der Kaiserschnittwunde, Bewegungsunfähigkeit, starke Nachwehen; Kreislaufprobleme; Übelkeit in der Nacht; totale Erschöpfung.
Hinzu kommt ein ständiger Wechsel von Zimmernachbarinnen. Ich habe keine Erholung wegen ihrer lauten Telefonate. Ein Wechsel in ein Einzelzimmer ist nicht möglich.
Ein Psychiater wird zu mir bestellt. Diagnose: Wochenbettdepression.
Anschließend Termin in der Urologie. Diagnose: gereizte Beckenbodennerven während der Sectio, die den Blasenmuskel geschwächt hat – daher die Blasenentleerungsstörung und Harnstau plus Infektion wegen des häufigen Katheterwechsels.
Nach zehn Tagen Albtraum in der Klinik werde ich mit Dauerkatheter nach Hause entlassen. Ich habe weiterhin tagelang starke Beschwerden durch den Katheter. Erneuter ambulanter Aufenthalt im Krankenhaus, ziehen des Katheters.
An den Weihnachts-Feiertagen habe ich weiterhin Schmerzen, Brennen beim Wasserlassen und starke Erschöpfung. Dazu kommen schlaflose Nächte mit Säugling und Wochenbettbeschwerden. Nach zweimaliger Antibiotikatherapie bei meiner Frauenärztin bis zum 10. Januar und erneutem ambulanten Termin bei einem Urologen bin ich Mitte Januar – sechs Wochen nach dem Kaiserschnitt – endlich ohne Beschwerden.
Entstörung der Kaiserschnittnarbe
Seit dem Kaiserschnitt sind sechs Wochen vergangen, die Narbe ist – nach Standard-Medizin-Kriterien – gut verheilt, doch beim Schnitt wurden der Nierenmeridian und der Zentralmeridian Rèn Mài durchtrennt. Auch wenn eine Narbe schmerzfrei ist, wirkt sich die Energie-Störung im Hintergrund negativ aus, denn der Energiefluß im Körper ist gestört.
Das kann sich in vielerlei Beschwerden äußern, die man für gewöhnlich nicht mit der Narbe in Verbindung bringt, z. B. Energiemangel, Depression oder Störungen im Hormon-Haushalt.
Als Frau B. neun Jahre alt war, wurde sie wegen einer Eierstockzyste operiert, diese Narbe haben wir im April 2022 entstört (siehe Teil 2 der „Reise zum Kind“). Nun nehmen wir uns mit demselben Verfahren der Kaiserschnittnarbe an.
Bei dieser einfachen Methode arbeitet Frau B. mit. Sie liegt entspannt auf dem Rücken auf der Couch, ihr Mann kümmert sich währenddessen um Gabriel, und streicht strahlenförmig mit den Finger sanft von der Narbe weg nach außen. Die Bewegungen sind wie Sonnenstrahlen, die den Streß ableiten.
Zugleich läßt Frau B. in ihrem Kopfkino den Film ablaufen, der die Entstehung der Narbe zeigt. Sie sieht ihn nur an. Sie analysiert nicht. Vor allem assoziiert sie sich nicht mit den Geschehnissen. Diese sind außerhalb von ihr und lösen sich auf – parallel zu den Austreichbewegungen an der Narbe. Die Klientin ist nicht mehr diese Narbe, sie ist nicht mehr dieser Schmerz, sie ist nicht mehr dieses Leiden.
Das Ganze dauert rund zehn Minuten, dann sind wir fertig und Gabriel kommt wieder zu uns ins Wohnzimmer, denn nun geht es um ihn.
Sanft gegen Koliken
Als ich ihn bei meinem Kommen begrüßt habe, hat Gabriel meine Stimme erkannt, das war an seiner Reaktion deutlich zu merken. Er hat sie während seines Heranwachsens im Bauch der Mutter immer wieder vernommen – und stets in Verbindung mit einem sinkenden Streßpegel der Mutter, was auch für ihn wohltuend war.
Nun ist er ganz aufmerksam, als ich mich ihm zuwende und mit ihm rede. Wie bei meinem ersten Hausbesuch bei Frau B. im Dezember (siehe Teil 7 der „Reise zum Kind“), als der Kleine noch quer im Bauch lag, umschnurren uns die Katzen. Nun kennen sie mich schon und haben ihre Scheu abgelegt. So beobachten sie mein Treiben mit ihrem neuen kleinen Mitbewohner.
Frau B. hält ihren Sohn im Arm, während ich mit ihm arbeite. Er hat immer wieder Koliken, die zwar, seit sie ihre Antibiotika abgesetzt hat, besser geworden sind, den kleinen Burschen aber noch plagen.
Sofort wird er unruhig, zappelt, weint etwas. Doch ist ihm deutlich anzumerken, daß er weiß bzw. spürt: Nach dieser unangenehmen Phase wird es besser, deshalb laß ich es zu. Nach etwa zwei Minuten sind wir durch. Gabriel schnauft tief durch und schläft wie auf Knopfdruck tiefenentspannt ein.
Ein Säugling im Arm – der reine Frieden
Wir lassen Gabriel ein Weilchen schlummern, dann kommt für mich der große Augenblick: Frau B. legt mir ihren Jungen in die Arme. Der Wechsel von ihren Armen in meine macht ihm nichts aus, er schläft weiter.
Wie winzig so ein sechs Wochen altes Kind ist! Wie es fein duftet! Wie zart und zerbrechlich es ist! Und wie wunderbar dieser Junge atmet: Diese tiefe, ruhige, gleichmäßige Zwerchfellatmung müssen wir streßgeplagten Erwachsenen in Kursen erst wieder mühsam lernen. Als kleines Kind konnten wir es – einfach so…
So sitze ich still da mit diesem wundervollen Kind im Arm. Das Brennholz knackt und knistert im Ofen, die Zeit steht still. Reiner Frieden erfüllt mich. Nichts ist mit diesem Gefühl vergleichbar.
Alle Mühen wert
Bevor ich die Frau B., ihren Mann und ihr Kind verlasse, frage ich sie, ob sie nach all den schweren Jahren – nachzulesen in Folge 1 und Folge 2 der „Reise zum Kind“ – und diesem extremen Kaiserschnitt nicht mal den Gedanken hatte, ob es nicht besser gewesen wäre, all das wäre nicht geschehen und sie hätte kein Kind? Sie zögert keine Sekunde mit der Antwort:
„Niemals! Unser Sohn ist so ein Geschenk. Er war und ist uns alle Mühen wert!“